4x Nein zur Lügenpresse

Pegida-Anhänger bezeichnen die deutschen Medien pauschal als Lügenpresse, Journalisten fühlen sich auf den Schlips getreten und der Chefredakteur der tagesschau, Kai Gniffke, wendet sich in seinem Blogeintrag mit ungewöhnlich emotionalen Worten an die Pressekritiker – man kann fast sagen, er rastet aus (jedenfalls gemessen am gewöhnlichen Emotionslevel der tagesschau):

Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt wieder richtig auf die Fresse bekomme: Mir langt’s.

Nun ist die “Lügenpresse” zum Unwort des Jahres 2014 gewählt worden. Doch das Wort scheint 2015 eine noch bedeutendere Rolle zu spielen.

Als jemand, der seit knapp vier Jahren bei der Lügenpresse arbeitet (hr), möchte ich meine Einschätzung mit euch teilen:

1. Ist die Presse objektiv?

Nein. Jeder Journalist ist auch ein Mensch mit persönlichen Ansichten und keiner kann sich ganz davon frei machen. Eine persönliche Note spielt in jedem Beitrag mit. Und anders als man als Zuschauer vielleicht denkt, ist für einen Fernsehsender oft tatsächlich nur 1 Journalist mit 1 Kamera- und 1 Tonmann unterwegs. Wir sehen die Bilder und hören die Geschichte aus seiner Perspektive. Als Nicht-Medienmensch ist einem das oft nicht bewusst, gerade weil die Berichterstattung z.B. der tagesschau so objektiv und professionell wirkt.

Alle Kollegen, die ich beim hr und beim WDR kennengelernt habe, versuchen, so journalistisch sauber wie möglich zu arbeiten, so objektiv wie möglich zu sein. Wer sich nicht den ethischen Grundsätzen des Journalismus verpflichtet fühlt, wird entweder kein Journalist oder ist es nicht lange.

2. Manipulieren Politiker die Berichterstattung?

Nein. Es gibt immer mal wieder einige, die das versuchen. Sie scheitern aber in den allermeisten Fällen. Nehmen wir einmal an, es würde in großem Maßstab manipuliert und zensiert. Dann wäre es äußerst wahrscheinlich, dass ich in meinen vier Jahren beim hr entweder selbst mal inhaltlich “korrigiert” worden wäre oder dass ich zumindest von einem der vielen Kollegen ein Mal selbiges erfahren hätte. Letzteres ist nicht der Fall. Ich selbst hatte tatsächlich zwei Fälle, in denen die Aussage meines Beitrags von der Redaktion verändert wurde. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass dies nicht aus politischen Motiven heraus entstand, sondern aus redaktionellen Erwägungen, d.h. der Beitrag passte so inhaltlich oder zeitlich nicht in die Sendung. Das ist natürlich auch fragwürdig, hat aber nichts mit politischer Manipulation zu tun.

3. Sind die Medien offen genug für Andersdenkende?

Nein. Ich finde in der Tat, dass insgesamt die Ängste von Bürgern zu wenig unter die Lupe genommen werden, die von der Norm abweichen – seien sie nun rechtsgerichtet oder linksgerichtet. Es findet unterschwellig und sicher auch oft unbeabsichtigt eine Einordnung statt, z.B. Pegida = schlecht, Rest = gut, die von uns Journalisten ausgeht. Eine gute Demokratie muss eine solche Diskussion auf Augenhöhe aber zulassen und aushalten. Da reicht es nicht, wenn ein Markus Lanz eine rechte Politikerin in die Gesprächsrunde einlädt, ihr dann aber nach jedem ersten Satz ins Wort fällt und sie so keinen Gedanken aussprechen lässt. (So geschehen vor einigen Monaten im ZDF.) Oder Herrn Lucke von der AfD. Oder eine linke Politikerin, die er dann am laufenden Band frech beleidigt. (So geschehen mit Sarah Wagenknecht Anfang 2014.) Es gibt durchaus Redaktionen, die da offener sind, wie etwa die ARD Panorama-Redaktion, die Interviews mit Pegida-Demonstranten in voller Länge im Internet veröffentlicht hat. Ich denke aber, wir können da insgesamt noch einiges besser machen.

4. Erklären die Medien den Zuschauern genug, was sie machen?

Nein. Vieles, was für Medienmacher selbstverständlich ist, ist für den Zuschauer alles andere als selbstverständlich. Als ich zum ersten Mal beim hr-Fernsehen mitarbeiten durfte, war ich sehr verwundert, dass selbst für nachrichtliche Beiträge ein Treatment (also eine Art Drehbuch) erstellt wird. D.h. die wesentliche Story des Beitrags wird schon festgelegt, bevor man überhaupt vor Ort ist: Wer ist Protagonist? Was ist die Geschichte? Dem Protagonisten werden Attribute zugeschrieben und am Ende steht ein Satz da wie: “Der verhöhnte, junge und unerfahrene XYZ-Politiker heckt eine Strategie aus, um trotzdem Minister zu werden.” Und gemäß dieses Satzes wird dann der Film gedreht.

Es ist nicht verwunderlich, dass diese Vorgehensweise wie eine “Lügenpresse” erscheint für Menschen, die selbst keine TV-Journalisten sind. (Das ist übrigens ein Großteil der Bevölkerung.) Mir selbst ist nach dem Volontariat bewusst, dass es nur so geht. Man kann nicht einfach die Kamera überall draufhalten und dann am Ende mal gucken, wie man welche Bilder zusammenklebt. Es ist eine echte Kunst, einen verständlichen Nachrichtenbeitrag zu machen und man braucht einen roten Faden dafür, den man sich nicht erst suchen kann, wenn man fünf Stunden wild zusammengewürfeltes Bildmaterial gefilmt hat. Dafür ist übrigens in der tagesaktuellen Berichterstattung auch gar keine Zeit. Es findet also in Fernsehbeiträgen immer eine leichte (!) Verzerrung der Realität statt, die aber notwendig ist. Diese Notwendigkeit müssen wir dem Zuschauer aber besser erklären. Ich hoffe, ich habe hiermit dazu einen kleinen Beitrag geleistet.